Howard Cross betrat den Platz zum Football-Training und nahm die Haltung eines Läufers ein. Ein Teamkollege fragte den 1,90 Meter großen und 270 Pfund schweren Tight End: “Was machst du da?” Cross antwortete: “Das ist die Bahn, in der Jesse Owens bei seinem Olympiasieg gelaufen ist. Ja, genau hier.”
Diese Szene trug sich im Sommer 1994 zu. Die New York Giants waren damals für ein Preseason-Spiel gegen die San Diego Chargers in Berlin zu Gast. Die Partie, die am Austragungsort der Olympischen Spiele von 1936 stattfand, war die jüngste Veranstaltung der American Bowl. Im Rahmen der von 1986 bis 2005 laufenden Serie wurde jedes Jahr mindestens ein Preseason-Spiel in einem anderen Land ausgetragen, und zwar im Vereinigten Königreich, Irland, Spanien, Deutschland, Kanada, Japan, Mexiko und Australien.
Die Giants reisten schon eine Woche vor dem Spiel nach Deutschland, um sich an die Zeitverschiebung zu gewöhnen und die Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Cross hat zum Zeitpunkt seines Abschieds mehr Spiele im Trikot der Giants bestritten als jeder andere, weshalb es im Normalfall ein aussichtsloses Unterfangen wäre, ihn nach seinen Erinnerinnungen an einen Preseason-Einsatz vor 30 Jahren zu fragen. Aber dieses Spiel war nun mal etwas Besonderes.
“Das ist das einzige Preseason-Spiel, das mir wirklich in Erinnerung geblieben ist, weil es in Deutschland stattfand”, erklärt Cross heute. “Ich erinnere mich daran, dass die Atmosphäre sehr ähnlich war, wie man sie heute in London oder anderen Städten erwartet. Die Menschen waren so begeistert, dass sie endlich ein American Football-Spiel besuchen konnten. Es war verrückt. Sie hatten Trikots von allen möglichen Teams. Das war damals der Moment, in dem sie American Football hautnah erleben und sehen konnten. Das gab ihnen einen echten Kick.”
Die Giants flogen nach ihrem ersten und einzigen Auftritt im American Bowl mit einem 28:20-Sieg im Gepäck über den Atlantik nach Hause. Mehr als ein Jahrzehnt später sollten sie jedoch zurückkehren, um NFL-Geschichte zu schreiben.
Die Liga lancierte ihre International Series am 28. Oktober 2007, als die Giants im Londoner Wembley-Stadion gegen die Miami Dolphins antraten. Die Giants gewannen das erste reguläre Saisonspiel außerhalb Nordamerikas mit 13:10, wobei der einzige Touchdown des Teams durch einen 10-Yard-Lauf von Eli Manning erzielt wurde.
Der Meilenstein für den Sport war Teil einer Saison, die für die Giants im Super Bowl XLII gipfelte. Es folgten zwei weitere Reisen in das Vereinigte Königreich in den Jahren 2016 und 2022, die ebenfalls siegreich verliefen und in Playoff-Jahren für Big Blue stattfanden.
Nicht nur deshalb sind die Giants stolz darauf, diese Woche dem Global Markets Programm beizutreten. Die 2022 ins Leben gerufene Initiative gewährt NFL-Vereinen Zugang zu internationalen Märkten für Marketing, Fan-Engagement und Vermarktungsaktivitäten als Teil einer umfassenden, langfristigen strategischen Initiative, die es den Vereinen ermöglicht, ihre Marken weltweit weiterzuentwickeln und gleichzeitig das NFL-Fanwachstum über die USA hinaus zu fördern.
NFL-Klubs können sich um Rechte für ausgewählte internationale Märkte bewerben, indem sie Vorschläge einreichen, die jedes Frühjahr vom International Committee geprüft werden. Vereine erhalten über das Programm Rechte für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren. Während dieses Zeitraums hat ein Verein das Recht, in diesem internationalen Markt Aktivitäten zu verfolgen, die sich weitgehend mit denen im Heimatmarkt decken.
Die Liga gab kürzlich bekannt, dass die Giants internationale Vermarktungsrechte in Deutschland erhalten haben, wo Cross vor all den Jahren auf dem Spielfeld stand.
“Meiner Meinung nach ist das Spiel schneller gewachsen, als den Fans bewusst ist”, meint Cross, der die International Series Spiele der Giants in den Jahren 2007, 2016 und 2022 als Teil des Übertragungsteams verfolgt hat. “Es gibt heute mehr aktive Spieler, mehr globale Reichweite. Die Athleten kommen von überall her. Nicht jedes Kind ist größenbedingt körperlich in der Lage Fußball zu spielen. Einige werden Basketballspieler, aber einige entdecken das Football-Feld und beginnen den Sport auszuüben.”
Cross verweist auf das Engagement des ehemaligen Giants Defensive Ends Osi Umenyiora, dem führenden NFL-Botschafter für NFL Afrika.
“Talent ist global, aber die Möglichkeiten sind es nicht”, betonte Umenyiora im Vorfeld des “Born To Play”-Werbespots der Liga während des Super Bowl LVIII. Internationalen Sportlern Türen zu öffnen ist nicht nur eine meiner Leidenschaften, sondern auch eine Möglichkeit, künftigen Generationen etwas zurückzugeben. Die NFL verändert Leben, und die Voraussetzungen, diesen Sport zu spielen, sind inzwischen tatsächlich weltweit gegeben. Die internationalen Football-Entwicklungsprogramme der Liga tragen dazu bei, das Leben junger Menschen zu verändern und den Sport auf der ganzen Welt zu fördern. Diese Kampagne zeigt jungen Menschen auf der ganzen Welt, dass es keine Rolle spielt, wo man geboren wurde, sondern dass man geboren wurde, um zu spielen.”
Die Liga hat sich zum Ziel gesetzt, den Football weltweit zu fördern und die Zahl der internationalen Sportler in der NFL zu erhöhen. Im Rahmen der NFL International Games 2024 werden fünf reguläre Saisonspiele im Ausland ausgetragen, wobei das erste in Südamerika (São Paulo, Brasilien) stattfindet.
“Ich glaube, dass die Fans selbst, nicht zuletzt wegen der internationalen Spiele, viel über den Sport gelernt haben. Die größeren Kids denken jetzt: ‘Hey, sieh an! Ich habe eventuell tatsächlich eine Chance, American Football zu spielen.’ Sie fangen an, diesen Sport ernsthaft in Betracht zu ziehen. Neulich habe ich einer Gruppe von Kindern hier in den Staaten erzählt, wie wir früher immer von einem Trichter gesprochen haben, der alles komprimiert bis unten der eine Tropfen rauskommt. Ich habe betont, dass die obere Öffnung dieses Trichters immer größer wird, weil mehr Menschen rund um den Globus diesen Sport spielen. Wenn du also diesen Sport spielen willst, solltest du wirklich gut darin werden und dich auf deine Noten konzentrieren, denn die Athleten kommen mittlerweile aus der ganzen Welt. Ich behaupte, dass American Football, ein Sport, von dem alle sagten, dass er nie weltweit verbreitet sein würde, jetzt sehr wohl weltweit verbreitet ist.”